In diesem Artikel
Smart Gaskets: Vorantreiben der Digitalisierung in der Dichtungsindustrie
Ben Cloostermans (R&D Engineer bei ERIKS Belgien) nahm im Sommer diesen Jahres an der bekannten ASME Konferenz 2022 (American Society of Mechanical Engineers) in Las Vegas (NV/USA) teil. Dort präsentierte er seine Forschungsergebnisse einem zahlreich erschienenen und sehr interessiertem Publikum von Akademikern und Industrieexperten – er wurde mit dem 2. Preis für den besten Vortrag in der Kategorie Doktoranden ausgezeichnet. Eine wohlverdiente Auszeichnung, die Cloostermans von der ASME-Präsidentin Karen Ohland überreicht wurde.
Bens Forschungsergebnisse haben viel Aufmerksamkeit erreicht, da sie einen innovativen Ansatz zur Lösung für eins der grundlegendsten Probleme in der Dichtungstechnologie bietet, das bisher schwierig darzustellen war, weil die erforderliche Technologie nicht zur Verfügung stand. Wir freuen uns, dass Ben sich Zeit für ein Gespräch genommen und uns in die Geheimnisse seiner bahnbrechenden Forschung eingeweiht hat.
Veröffentlichung
Die erste Anerkennung seiner Forschungsarbeit durch Wissenschaft und Industrie erfolgte Anfang diesen Jahres, als Ben einen wissenschaftlichen Forschungsbericht im Fachmagazin Mechanical Systems and Signal Processing (MSSP) veröffentlichte. In diesem Forschungsbericht wurde das Konzept der Smart Gasket-Technologie vorgestellt, mit der die Leistungsfähigkeit der Dichtung direkt innerhalb der Dichtung gemessen wird. Sie war auch die Grundlage für seine weiterführende Forschungsarbeit, die er auf der ASME-Konferenz präsentierte.
Die Smart Gasket-Forschung wird durch die intensive Zusammenarbeit zwischen ERIKS und B-PHOT (dem Photonik-Forschungsinstitut der Vrije Universiteit Brüssel) ermöglicht. B-PHOT und ERIKS haben sich im Rahmen von ACTPHAST zusammengeschlossen, einem von der EU finanzierten Konsortium, das europäische Unternehmen unterstützt, die mit Hilfe der Photonik die Innovation ihrer Projekte fördern wollen. Ein derzeit ähnliches Programm ist PhotonHub Europe, das Fachkenntnisse, Know-how und Technologieplattformen für Unternehmen und Forscher im Bereich bahnbrechender Innovationen anbietet.
Im Rahmen dieser Partnerschaft erhielt Cloostermans ein persönliches Forschungsstipendium von der VLAIO (Flämische Agentur für Innovationen und Unternehmen). Die VLAIO hat sich zum Ziel gesetzt, gesellschaftlich relevante Forschungsprojekte zu finanzieren und damit die Einführung von Spitzentechnologie zu beschleunigen.
Industriedichtungen: Die größten Herausforderungen
Mit welchen wesentlichen Problemen befasst sich Bens Forschung konkret? Es gibt zwei wesentliche Herausforderungen: „Zum einen muss die Industriedichtung ordnungsgemäß montiert werden, um sicherzustellen, dass bei der Inbetriebnahme der Anlage keine Leckage auftritt. Zum anderen muss die Flanschverbindung überwacht werden, damit sie während des Betriebs intakt bleibt.“
Derzeit basiert die Leistung von Industriedichtungen hauptsächlich auf Berechnungen, die viele Annahmen und Unsicherheiten beinhalten. Für Standardflansche sind diese Berechnungen ziemlich genau, aber wenn die Installation komplexer wird – z.B. bei Wärmetauschern oder Druckbehältern – wird es schwieriger, die Flanschverbindung zu bewerten. Geringfügige Größenabweichungen oder die konstruktionsbedingte Befestigung von Schrauben können mögliche Ursachen sein.
Faseroptische Sensoren
Die genaue Bewertung des Abdichtverhaltens wird dadurch erschwert, dass die Industriedichtung nur wenige Millimeter dick ist. Dementsprechend ist es schwierig, passende Sensoren für das Produkt zu finden. Aus diesem Grund wurde die Idee der faseroptischen Sensoren entwickelt. Diese relativ neuen Sensoren sind haarfein und spielen seit 20 Jahren eine immer größere Rolle. „Jeder hat schon einmal vom Internet und von Glasfasern gehört“, erläutert Ben. „Aber nur wenige wissen, dass man sie auch als Sensoren zur Messung bestimmter Größen wie Druck, Temperatur, Spannungsfelder und alle Arten von Variablen verwenden kann. Wir nutzen sie für Dehnungsmessungen.“
„Mit diesem faseroptischen Sensor können wir den Zustand an mehreren Stellen der Dichtung messen und feststellen, wie viel Druck auf der Dichtungsoberfläche lastet. Wir können den Dehnungsgrad der Faser beobachten und wie sich die Dichtung verformt. Auf diese Weise können wir einschätzen, wie ordnungsgemäß die Dichtung installiert wurde, so dass wir das Risiko einer Leckage während des gesamten Prozesses ausschließen können.“
Hierbei handelt es sich um ein ausgesprochen spezialisiertes Verfahren, bei dem das Know-how über den Sensor selbst und sein Verhalten mit den Industriedichtungseigenschaften kombiniert wird. An dieser Stelle kommt die einzigartige Kombination aus dem akademischen Fachwissen der Universität über Sensoren und der Spezialisierung von ERIKS für Industriedichtungen optimal zum Ausdruck.
Condition Monitoring
Wenn sich der Sensor in der Dichtung befindet, kann er natürlich auch für die kontinuierliche Überwachung der Anlage verwendet werden. Ben verdeutlicht: „Wenn das System einem Druck oder einer Temperatur ausgesetzt wird – wie wird die Dichtung darauf reagieren? Aus Erfahrung können wir ungefähr einschätzen, wie sich eine Dichtung in einer bestimmten Anwendung verhalten wird. Dennoch ist normalerweise nicht bekannt, wie lange sie halten wird, wodurch eine präventive oder kurative Wartung erforderlich wird. Der Sensor in der Industriedichtung ermöglicht ein Follow-up in Echtzeit und gibt Aufschluss darüber, wie sich Druck oder Temperatur auf die Flanschverbindung auswirken. Werden diese Daten mit möglichen Leckagen korreliert, ergeben sich erste Prognosen zur Leistungsfähigkeit der Industriedichtungen. Genau da betreten wir den Bereich der vorausschauenden Wartung.“
Zusammenfassend sagt Ben: „Wir lösen zwei Probleme. Einerseits garantieren wir mit dem Einbau eines Sensors eine optimale Installation der Industriedichtung und eine leckagefreie Inbetriebnahme. Andererseits können wir während der Wartung einer solchen Flanschverbindung überwachen und prognostizieren, wann Leckagen auftreten. Das ermöglicht uns letztendlich den Prozess zu optimieren.“
Diese Echtzeitdaten liefern nützliche Informationen über die Flanschverbindung. Wartungs- und Ausfallzeiten können geplant und die Sicherheit der Mitarbeitenden garantiert werden, während die Anlage weiterhin ordnungsgemäß funktioniert. Der Prozess kann auch in Teilen gestoppt werden, damit die Schrauben – wenn nötig – nachgezogen werden können.
Experimenteller Prozess
Nach der Bestimmung und Instrumentierung des richtigen Sensors wurden die Signale als Rohdaten gespeichert. Hier kommt dann Bens Know-how ins Spiel: Er führt die Datenanalyse mit Hilfe des Wissens über Sensoren und Industriedichtungen durch, um die Rohdaten in konkrete Informationen umzuwandeln. „Durch die Datenanalyse erfahren wir, wie wir diese Signale für die Erfassung des Dichtungszustands während der Installation und der Wartung nutzen können“, erklärt Ben. „Für einen Forscher geht es mit Blick auf das Forschungsziel immer erst um die Lösung technischer Herausforderungen. Im nächsten Schritt geht es darum herauszufinden: Wie kann ich es nutzen, um einen Mehrwert zu schaffen?“
Technologie-Reifegrad (Technology Readiness Level – TRL)
„Wir wissen jetzt, dass wir in einer Laborumgebung Messungen vornehmen können“, so Ben. In Bezug auf den Technologie-Reifegrad (TRL), der den Reifegrad einer neuen Technologie angibt, erreichen wir die TRL-Stufe 4 bis 5. Diese Reifegrade variieren zwischen TRL 1 (der Grundlagenforschung) und TRL 9 (vollständige kommerzielle Anwendung). „Bei einem TRL 9 kennen wir uns wirklich mit der Materie aus und können sie zu unser aller Wohl einsetzen“, erklärt Ben. „Wir haben sie beobachtet und in einer kontrollierten Umgebung geprüft. Derzeit befinden wir uns in der betrieblichen Testphase und damit in der Übergangsphase zwischen Labor- und Feldumgebung in Echtzeit.“
Die Herausforderung besteht in der Umsetzung der Forschungsergebnisse in Feldversuche. Und damit zu beweisen, wie das Konzept intelligenter Industriedichtungen in der Anlage des Kunden wirklichen Mehrwert bringen kann.
Pilotprojekt
„Wir bereiten gerade ein Pilotprojekt vor“, sagt Ben. „Dafür suchen wir einen sogenannten Early Adopter: einen Kunden, der sich der Herausforderung stellen möchte und gleichzeitig bereit ist, das mögliche Ergebnis zu akzeptieren.“ Das bedeutet eine wirkliche Synergie zwischen dem Lieferanten und dem Hersteller. „Wir bieten Lösungen“, betont Ben „Aber letztendlich müssen diese anhand der Prämissen des Kunden getestet werden.“ Der Vorteil ist, dass wir bei ERIKS ein so gutes Verhältnis zu unseren Kunden haben. Das macht vieles möglich.“
Es gehört normalerweise nicht zur ERIKS-DNA ein Projekt von der Grundlagen- auf die Anwendungsebene zu begleiten. „Normalerweise starten wir etwa in der Mitte der TRL-Stufen und arbeiten die Vorgaben in eine Anwendung aus“, bestätigt Ben. „Hierbei bemühen wir uns darum ein grundlegendes Problem der Dichtungsindustrie zu lösen – in Zusammenarbeit mit B-PHOT, versteht sich.“
Digitaler Zwilling
Die intelligente Industrieichtung ähnelt dem Konzept des digitalen Zwillings – eine digitale Präsentation eines physischen Objekts. „Wir bewegen uns in Richtung eines komplett digitalisierten Zeitalters, in dem niemand mehr manuelle Inspektionen vornehmen möchte. Entsprechend möchten wir eine digitalisierte Dichtungslösung anbieten, mit der wir die Kunden entlasten können.“ Die intelligente Dichtung kann bei auftretenden Fehlern Warnungen abgeben oder bestätigen, dass alles ordnungsgemäß funktioniert.
Bei der Forschung geht es darum, einen solchen digitalen Zwillings zu schaffen und die Welt der Industriedichtungen in das digitale Zeitalter zu führen. Die Vorteile liegen mit der verbesserten Sicherheit der Anlage und der verbesserten Lagerverwaltung auf der Hand. Wenn Sie wissen, wann eine Dichtung ausgetauscht werden muss, können Sie Ihren Lagerbestand optimieren. Ein weiterer Vorteil ist die Zuverlässigkeit: Eine nachweislich ordnungsgemäß eingebaute Dichtung beweist auch, dass Sie beispielsweise die behördlichen Emissionsauflagen einhalten. Nach dem Einbau der intelligenten Dichtung geht es langfristig auch um die Reduzierung von Emissionen und des CO2-Fußabdrucks.
Die Digitalisierung vorantreiben
„Im Wesentlichen geht es darum, die Digitalisierung in einer eher konservativen Branche voranzutreiben“, erläutert Ben. Unser kurzfristiges Ziel ist es, intelligente Industriedichtungen im Druck- und Temperaturbereich bei unseren Kunden einzusetzen. Wir möchten beweisen, dass sie für die Kundenanwendung einen echten Mehrwert bieten. Langfristig soll das Konzept weiterentwickelt und in ein Geschäftsmodell umgesetzt werden. Am Ende sollten die Dichtungen mit Sensoren ausgestattet sein, die das Dashboard des Kunden automatisch auslesen können. Aber das wäre dann schon TRL 9.
„Es geht eigentlich um ein Produkt, das wir schon haben und dem wir etwas hinzufügen. Wir machen es quasi intelligent. Damit bieten wir dem Kunden Daten, die mit der Industrie 4.0 und dem IoT (Internet of Things) voll kompatibel sind. Dies möchten wir auf höchster Ebene in Zusammenarbeit mit dem Kunden erreichen.“ Die Auszeichnung mit dem Gütesiegel der renommierten ASME ist ein wichtiger Meilenstein bei diesem Vorhaben. Ben bestätigt das. „Wenn die ASME begeistert ist und findet, dass man eine gute Lösung für ein echtes Problem gefunden hat, ja, das motiviert schon zum Weitermachen!“
Informationen anfordern
Wünschen Sie weitere Informationen zu den Smart Gaskets? Geben Sie nachfolgend Ihre Daten ein und wir melden uns umgehend bei Ihnen.
Abonnieren Sie unseren Newsletter
Um die wichtigsten Branchennews und Updates zu erhalten.